Vergessene Museen (XI): Das Museum für Säuglingskunde (1914–um 1970)

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Die Gründung des Museums im Kaiserin Auguste Victoria-Haus ging auf eine sozialpolitische Aufklärungsinitiative zur Bekämpfung der hohen Säuglingssterblichkeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Es wurde im Haupthaus des hochmodernen Gebäudekomplexes in Charlottenburg untergebracht, den Alfred Messel und Ludwig Hoffmann 1907–1909 erbaut hatten. Die Art der Präsentation entsprach eher einem Informationszentrum denn einem Museum. Hauptziel der Ausstellung war es, junge Mütter zum damals wenig verbreiteten Stillen der Säuglinge zu bewegen. Das Museum gab das Vorbild für das Museum für Säuglingskunde in Wien ab, das dort 1916 eröffnet wurde. Weiterhin war es musterhaft für das Volksmuseum für Frauenkunde in der Weimarer Republik. Die Ausstellung in Charlottenburg existierte wohl noch mindestens bis in die späten 1960er-Jahre.

Literatur: Volkstümliche Zeitschrift für praktische Arbeiterversicherung 5 (1915), S. 59; Zentralblatt für Volksbildungswesen 12 (1916), S. 184f.; Gudela Marschall: Wandlungen in bezug auf die Gesundheitspflege, in: Erich Egner (Hg.): Aspekte des hauswirtschaftlichen Strukturwandels, Berlin 1967, S. 99–116, hier S. 106; Robert Habel: Alfred Messels Wertheimbauten in Berlin, Berlin 2009, S. 747–753; Jörg Vögele/Thorsten Halling/Luisa Rittershaus: Ärztliche Stillempfehlungen in Deutschland im 20. Jahrhundert, in: Kinder- und Jugendarzt 7 (2010), S. 465–469

 

Vergessene Museen (X): Das Deutsche Vergasermuseum in West-Berlin (1958–1982)

VergasermuseumDer Industrielle Alfred Pierburg war einer der erfolgreichsten Autozulieferer der Nachkriegszeit. Sein in Neuß und West-Berlin ansässiges Unternehmen, die „Deutsche Vergaser-Gesellschaft“, stattete in der Zeit des Wirtschaftswunders nahezu jedes in Deutschland gebaute Kraftfahrzeug mit einem Vergaser aus (Marke „Solex“). 1958 gründete Pierburg, auch als Zeichen des wirtschaftlichen Erfolgs, das „Deutsche Vergasermuseum“, welches in einem Pavillon auf dem Werksgelände untergebracht wurde. Die mehr als problematischen Konnotationen der Begriffsverbindung von „deutsch“ und „vergasen“ scheinen damals nicht nur den Gründer nicht gestört zu haben – in keinem der zeitgenössischen Berichte wurde an dem Namen Anstoß genommen. Die technikgeschichtliche Ausstellung auf dem Firmengelände richtete sich wohl vor allem an Kunden des Unternehmens: Es ist nicht anzunehmen, dass sich Besucher zufällig in die abgelegene Heidestraße nach Moabit verirrten. Mit 500 Vergaseraggregaten und -teilen, die in einem dezidiert modern gestalteten Schauraum in Glasvitrinen aufgestellt waren, wurde die Geschichte der Vergasertechnik seit den 1860er Jahren dokumentiert. Nachdem Pierburg 1975 starb, wurde das Museum 1982 aufgelöst und die Sammlung dem Berliner Technikmuseum übergeben. Im letzten Jahr seines Bestehens hatte es laut Statistischem Jahrbuch 1.005 Besucher gehabt. 1986 verkaufte Pierburgs Sohn auch die Firma selbst an Rheinmetall.

Vergessene Museen (IX): Das Josef-Limburg-Museum in Berlin-Steglitz (1957–1964)

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Aus dem Buch „Josef Limburg und seine Bildwerke“, Berlin 1914

„Etwas angestaubt und gebräunt“, heißt es im aktuellen ZVAB-Verkaufsangebot über vier Bildpostkarten von Werken des Bildhauers Josef Limburg (1874–1955) in einer Autographenhandlung. Die beiden Adjektive treffen nebenbei auch den Umstand, warum das Josef-Limburg-Museum von allen vergessenen Museen Berlins wohl das allervergessenste ist. In der Zeit des Bestehens des Museums – 1957 bis 1964 – dürfte auch das bildhauerische Werk von Josef Limburg „angestaubt“ erschienen sein, und als „gebräunt“ konnte man Limburg selbst ansehen, weil er sich in seinen späten Jahren mit den Nationalsozialisten eingelassen hatte. Beides wird dem Erfolg des ihm gewidmeten Museums in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren nicht gut getan haben, und so wurde es nach nur 7 Jahren des Bestehens geschlossen und das Gebäude sogar abgerissen. Heutzutage dürfte es schwer sein, jemanden zu finden, der von einem Besuch in der Bahnhofstraße 6 in Berlin-Lichterfelde erzählen kann, wie er einst wahlweise an einem Mittwoch oder am ersten Sonntag im Monat zwischen 10 und 13 Uhr oder an einem Freitag zwischen 14 und 17 Uhr möglich war.

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Einige der auf der Postkarte zu sehenden Werke im Museumsraum lassen sich identifizieren, so ganz hinten links die Kreuzigungsgruppe für die katholische Kirche „Maria, Hilfe der Christen“ in Spandau (1910), vorne als zweite von links eine Büste des Papstes Pius X. (1904) und rechts vorne im Raum die 1907 bei der Berliner Kunstausstellung gezeigte „Loreley“. Hinten an der Wand ein Porträtgemälde des Künstlers.

Das Museum war nach seinem Tod in Limburgs 1923 erworbener Villa in Steglitz eingerichtet worden, sicherlich auch, um eine Antwort auf die stets komplexe Frage nach dem weiteren Schicksal eines künstlerischen Nachlasses zu geben. Vielleicht nach dem Vorbild des 1950 eröffneten Georg Kolbe-Museums versuchte man also auch hier, das Atelier zum Ort der Erinnerung an einen Bildhauer werden zu lassen, und zwar an einen Künstler, der sich vor dem Ersten Weltkrieg als Bildhauer der katholischen Diaspora in Berlin und als Schöpfer von Porträtbüsten von Päpsten, Kardinälen und Adligen etabliert hatte.

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Josef Limburg: Hitler und Mussolini, Bronzerelief, 1938

Später jedoch hatte Limburg auch mehrere Darstellungen Adolf Hitlers geschaffen (die vermutlich im Josef-Limburg-Museum nicht gezeigt wurden). Das Museum krankte vermutlich daran, dass der Künstler viel zu wenig bekannt war, viele der gezeigten Werke einem damals völlig aus der Mode gekommenen Naturalismus der späten Kaiserzeit verpflichtet waren und Bildhauerei im allgemeinen und katholisch-kirchliche Bildhauerei im atheistisch-protestantischen Berlin ohnehin kaum jemanden interessierte. Auch war das Gebäude weniger attraktiv als das wunderbare Haus Kolbes mit dem außerordentlich schönen Garten.

Öffnungszeiten im Jahr 1963: Mi 10–13 Uhr, Fr 14–17 Uhr, am 1. Sonntag des Monats 10–13 Uhr

Erweiterte Fassung eines Textes aus unserem Buch: Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2014

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen

Vergessene Museen (VIII): Das Kriminalmuseum Berlin (1890–1945)

 

Polizeipräsidium um 1900

Untergebracht im roten Backsteinbau des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz in Berlin-Mitte, war die Sammlung der Berliner Kriminalpolizei zumindest in ihrer Anfangszeit trotz ihrer Benennung als Museum nicht öffentlich zugänglich. Gerade zu jener Zeit war es durchaus üblich, dass reine Lehrsammlungen sich dennoch Museum nannten. Als anschauliche Ausbildungsstätte für Juristen und Polizisten konzipiert, sammelte man in erster Linie Zeugnisse von Verbrechen. Gefälschte Handschriften Martin Luthers fanden sich hier ebenso wie verbotene erotische Bücher, teilweise höchst grauenerregende Tatortfotos ebenso wie ein Tapezierhammer, „mit dem ein 13 Jahre altes Mädchen in Neukölln Dutzende von Bodendiebstählen verübte. Sie ‚würgte’ mit ihm jedes Vorhängeschloß auf den Böden mit einer Geschicklichkeit ab, die einem Kunstschlosser Ehre gemacht hätte“ (Wulffen 1913). Hinzu kamen Blutproben in Ampullen, die den Farbunterschied zwischen vergiftetem und reinem Blut demonstrierten, Stoffproben verschiedenster Materialien mit Blutflecken und vieles andere Lehr- und Anschauungsmaterial der praktischen Ermittlungsarbeit. Die Zusammenstellung folgte dem Grundsatz des Begründers der wissenschaftlichen Kriminalistik, Hans Groß, „daß man Gegenstände, über die man spricht und urteilt, erst einmal gesehen haben muß“ (Groß 1896).

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Später kamen zur Sammlung auch spektakuläre historische Objekte hinzu, die keinen Lerneffekt für die Ermittlungsarbeit hatten: So erwarb das Museum zum Beispiel 1925 Beil und Schafott des Scharfrichters Lorenz Schwietz, mit denen dieser mehr als 120 Straftäter ins Jenseits befördert hatte. Dass zumindest nach Anmeldung nun auch Nicht-Fachleute Zutritt hatten, zeigt das Beispiel Charlie Chaplins: Bei seinem Besuch in Berlin 1930 ließ er sich das Museum vorführen: „Photographien von Ermordeten, Selbstmördern und menschlichen Entartungen und Abnormitäten jeder erdenklichen Art. Ich war dankbar, als ich das Gebäude verlassen konnte.“ Die Sammlung ist mit dem Gebäude des Polizeipräsidiums 1945 untergegangen.

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen

Vergessene Museen (VII): Straßenmöbelmuseum im Tegel-Center (1972–2015)

Seit den 1960er Jahren drehte sich in Architektur und Städtebau der Wind: Aufgrund damals zunehmender Abneigung gegen die Bauten der Nachkriegsmoderne brachten Konservative wie Wolf Jobst Siedler, aber auch die 68er-Bewegung ein nun plötzlich positiv gewertetes Gegenmodell ins Spiel: die damals noch verfallende oder eigentlich dem Abriss geweihte Stadt des 19. Jahrhunderts. Zu der kritischen Sicht auf die Moderne gehörte auch, dass man nun nicht nur gegen den Abriss der Altbauten ankämpfte, sondern sogar Überreste bereits abgerissener Gebäude als Sachzeugen des Verlusts demonstrativ ausstellen wollte. Eine solche Sammlung war das einigermaßen irreführend betitelte „Straßenmöbelmuseum“, eröffnet 1972. Es war eine Zusammenstellung von Überresten (Spolien) Alt-Berliner Bürgerhäuser. Sie zeigte, dass man in den 1970er-Jahren von einer Versöhnung zwischen Moderne und Historie träumte, die durch Musealisierung geleistet werden sollte: Die durch Privatinitiative zusammengetragenen Stücke wurden im Innenhof eines brutalistischen 70er-Jahre-Einkaufszentrums, des Tegel-Centers, präsentiert.

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Dort sollte der Stuckschnörkeldekor von einst vor Sichtbeton wohl die mögliche Koexistenz von Vergangenheit und Gegenwart unter Beweis stellen. Schon bald jedoch fristete das Freiluftmuseum dort als vergessener Ort, den nur noch die Angestellten der Geschäfte für die Rauchpause aufsuchten, ein klägliches Dasein. Das Tegel-Center wurde 2017 abgerissen. Die Sammlung brachte man ins Heimatmuseum Reinickendorf.

Aus unserem Buch „Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern“, Berlin/München: Deutscher Kunstverlag, 2014, 39,90 €

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen

 

 

 

Vergessene Museen (VI): Das Museum für Gefangenenarbeiten in Berlin-Moabit (um 1930–1945)

Im Zellengefängnis Moabit, Lehrter Straße, Berlin-Moabit; Öffnungszeiten unbekannt

Bereits 1855 mussten die Gefangenen im Zellengefängnis Moabit arbeiten, teils für den internen Bedarf, teils für den Verkauf, teils auch für Firmen, die ihre Produktion ins Gefängnis verlagert hatten. Schon damals fand sich in einem der Gebäude ein Glasschrank, in dem verkäufliche Waren für Besucher ausgestellt wurden. Aus dieser Tradition wird das Museum hervorgegangen sein, dessen einstige Existenz zuerst aufgrund zweier Pressefotos aus dem Sommer 1930 nachweisbar ist. Die Aufnahmen der „Aktuellen Bilder-Centrale Georg Pahl“ zeigen laut den historischen Bildlegenden das „eigenartigste Museum Deutschlands“, in dem „Arbeiten von Strafgefangenen“, wie z.B. ein in anderthalbjähriger Arbeit hergestelltes Modell-Segelboot, gezeigt wurden. Außerdem führte man „veraltete Strafvollzugsmaßnahmen“ wie Fußfesseln aus Eisen vor. Das Museum passte ins sozialpolitische Klima der Weimarer Republik, in der alle Bevölkerungsgruppen, und das hieß in diesem Fall auch die Strafgefangenen, sichtbar etwas zum „Volkswohl“ beitragen sollten – zu ihrem eigenen Vorteil (Resozialisierung) und zum Vorteil der Gesellschaft (Schaffung wirtschaftlicher Werte). Museen galten damals als ideale Plattform, um für solche Ideen zu werben. Auch in Hamburg war 1928 ein „Gefängnismuseum“ im dortigen Untersuchungsgefängnis geplant (Bumke 1928). In einer Beschreibung von 1950 wird das Moabiter Gefängnismuseum noch einmal erwähnt, als einst in einem Schuppen im Hof untergebracht. Es sei aber im Zweiten Weltkrieg „völlig vernichtet“ worden.

Vergessene Museen (V): Das Informationszentrum Brandenburger Tor (1981–1989)

 

Pariser Platz, nördliches Torhaus des Brandenburger Tores, Berlin-Mitte; nur für offizielle Staatsbesuche der DDR zugänglich

Die Berliner Mauer war seit 1961 nicht zuletzt Berlins wichtigste Sehenswürdigkeit. Das galt vor allem für Besucher West-Berlins, die das monströse Bauwerk von zahlreichen, seit etwa 1962 errichten Plattformen bestaunten. Hinzu kamen die Dauerausstellungen zur Mauer im Amerika-Haus (seit November 1961) und Rainer Hildebrands Haus am Checkpoint Charlie (seit Oktober 1962). Der Osten hatte dieser Dauerdemonstration seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit und moralischen Schwäche propagandistisch an der Mauer selbst nichts entgegenzusetzen. Sie wurde mit Sichtblenden dem Blick der DDR-Bürger entzogen. Nur an einer Stelle, am Brandenburger Tor, gab es auf der Ostseite seit 1962 ebenfalls eine Aussichtsplattform mit Blick auf den „antifaschistischen Schutzwall“. Diese durfte allerdings nur von offiziellen Staatsgästen, bevorzugt aus den sozialistischen Bruderstaaten, erkommen werden. Um den Bau der Mauer gegenüber den Gästen zu rechtfertigen, wurde zusätzlich im südlichen Torhaus ein Raum für Lichtbildvorträge eingerichtet. 1981 ergänzte man diesen um ein kleines Mauermuseum – „eine äußerst lehrreiche Dokumentationsschau“, wie die Neue Zeit, die Zeitung der Ost-CDU, damals anerkennend schrieb. Sie wurde im nördlichen Torhaus untergebracht. Die exklusive Propagandaschau bestand bis zum Mauerfall im November 1989.

© Katrin + Hans Georg Hiller von Gaertringen

Vergessene Museen (IV): Das NS-Revolutionsmuseum in Berlin

Postkarte NS-Revolutionsmuseum

Wechselnde Standorte in Berlin-Mitte. Öffnungszeiten 1936: Täglich 10–22 / 1933 Eröffnung in der Jüdenstr. 33 / 1934 Umzug in die Neue Friedrichstr. 83 / um 1936 ansässig in der Taubenstr. 7 / Mai 1938 Umzug an die Neue Promenade 2 / um 1943 kriegsbedingte Schließung

Im März 1933 verwüstete die Berliner „SA-Standarte 6“ das pazifistische Anti-Kriegs-Museum. Kurze Zeit später gründete sie selbst ein kleines, agitatorisch geprägtes Museum. Es war eine der wenigen Museumsgründungen der NS-Zeit, in der man statt auf neue Museen eher auf temporäre Propagandausstellungen wie die „Entartete Kunst“ setzte. Mit dem Namen wurde auf die nach der Oktoberrevolution gegründeten „Revolutionsmuseen“ in der Sowjetunion angespielt, denen die SA-Männer ein eigenes Museum der „nationalen Revolution“ entgegenstellten. Jedoch war der Titel doppeldeutig: Hier wurde zugleich die von der NS-Bewegung vermeintlich vereitelte kommunistische Revolution musealisiert.

Spätestens im Juli 1934, als Hitler die SA beim „Röhm-Putsch“ gewaltsam entmachtete, war die Idee einer nationalen Revolution jedoch hinfällig. Nun entwickelte sich das Museum zum bloßen Traditionskabinett der Berliner SA, wo man sich, nicht ohne Wehmut, an die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe der frühen dreißiger Jahre erinnerte. Sowohl die gewaltsame Aneignung der kommunistischen Ausstellungsstücke als auch der diffamierende Duktus der Inschriften verliehen der Ausstellung den Charakter eines Anti-Museums, das nicht nur den politischen Gegner, sondern auch die bürgerlichen Bildungsideale verhöhnte.

Ausgestellt waren einerseits eigene Memorabilien, andererseits Beutestücke aus dem Kampf mit dem politischen Gegner: Fotos, Dokumente, Uniformen, Abzeichen, Banner, Orden und Waffen. Eine prominente Siegestrophäe war der rote Stern von Mies van der Rohes 1926 errichtetem Revolutionsdenkmal auf dem Sozialistenfriedhof Friedrichsfelde. Aus dem „Institut für Sexualwissenschaft“ von Magnus Hirschfeld präsentierte man dessen im Mai 1933 erbeutete Büste. Auch die Freimaurer und – gemäß dem sozialrevolutionären Gedankengut der SA – die Monarchie wurden nicht ausgespart. Ein in diesem Sinne gezeigtes Foto Kaiser Wilhelms I. mit Freimaurerschürze missfiel allerdings dem konservativen Reichswehrministerium, so dass es wieder entfernt werden musste. Als besondere Machtdemonstration wurde dem Besucher die Aneignung privater Gegenstände vorgeführt, etwa die Ohrringe der vormaligen kommunistischen Reichstagspräsidentin Clara Zetkin oder die Brille des jüdischen Berliner Polizeipräsidenten der Weimarer Zeit, Bernhard Weiß. Sowohl mehrere Ortswechsel als auch die geringen Besucherzahlen (1937: 18.000 Besucher) lassen nicht auf eine sonderlich starke Unterstützung durch die NS-Machthaber schließen. Das Schicksal der Bestände in Krieg und Nachkriegszeit ist unbekannt.

Aus unserem Buch „Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern“, Berlin/München: Deutscher Kunstverlag, 2014

Ausführlicher in unserem Aufsatz: NS-Revolutionsmuseum statt Anti-Kriegs-Museum? Zur Entwicklung der Berliner Museumslandschaft in der NS-Zeit, in: Tanja Baensch, Kristina Kratz-Kessemeier, Dorothee Wimmer (Hg.): Museen im Nationalsozialismus. Akteure – Orte – Politik, Köln: Böhlau Verlag, S. 99–112

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen

Nachtrag vom 28. Januar 2018

In der 2013 freigeschalteten Datenbank „Pressechronik 1933“ haben wir erst jetzt einen uns bislang unbekannten Artikel von damals zum NS-Revolutionsmuseum entdeckt. Hier in voller Länge wiedergegeben:

Das Revolutions-Museum der SA-Standarte 6

Im Zentrum der Stadt, unweit der Parochialkirche mit dem berühmten Glockenspiel, in der Jüdenstraße, gegenüber dem Stadthaus, hat die SA-Standarte 6 der Gruppe Berlin-Brandenburg sich eine Stätte geschaffen, in der Reliquien, die sich im Laufe der Zeit bei der Standarte angesammelt haben, ausgestellt sind. Schon von weitem leuchtet ein weißes Transpart mit der Aufschrift „Nationalsozialistisches Revolutionsmuseum“. Es ist ein langer, schmaler Laden einer ehemaligen Schokoladenhandlung. Hier hat man unter der rührigen Leitung des Standartenführers Markus das Erinnerungsmaterial zusammengetragen. Gleich am Eingang befindet sich das blumengeschmückte Bild des obersten SA-Führers Adolf Hitler; ihm gegenüber sind die heiligsten Reliquien der Standarte aufgestellt, Dokumente des Sturmführers Horst Wessel und die erste Sturmfahne Berlins, die sich im Besitz des Oberführers Richard Fiedler befindet und die er der Ausstellung zur Verfügung gestellt hat. Weiter sieht man Waffen aller Art wie großkalibrige Revolver, Pistolen, Maschinenpistolen, Säbel, Schlag- und Hiebwaffen aller Art, Sprengbomben, die früher der Kommunismus im Kampf gegen die Nationalsozialisten gebraucht hat. Dann Trophäen von SA-Männern, die sie dem Reichsbanner abgenommen haben, Armbinden und Abzeichen verschiedenster Art. Auf einem besonderen Tisch liegen die verschiedensten Flugblätter und Hetzzeitschriften der ehemaligen marxistischen Parteien. Als besonders wertvolles Stück sieht man die erste kommunistische Fahne Berlins, eine reinseidene Fahne mit goldener Handmalerei, die sich noch bis vor kurzem im Besitz des ehemaligen kommunistischen Schriftstellers Ernst Friedrich befand. Von dem ehemaligen Vize-Polizeipräsidenten Weiß ist u. a. die Brille ausgestellt, die er anscheinend bei seiner Flucht auf seinem Schreibtisch hat liegen lassen. Die Ausstellung wird durch Beiträge aus allen Gauen Deutschlands ständig erweitert.

Aus der Berliner Morgenpost vom 27. Juli 1933

 

Vergessene Museen (III): Das Feudalmuseum Wernigerode

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April 1949. Das „Feudalmuseum Schloss Wernigerode“ in Sachsen-Anhalt wird eröffnet. Die Benennung greift einen wichtigen Begriff der marxistischen Theorie auf, in der der Feudalismus als der von Leibeigenschaft und Fürstenherrschaft geprägte Vorläufer der kapitalistischen Epoche gilt, letztlich also als eine der Epochen, die der Erringung des Kommunismus notwendigerweise vorangingen. Das „Neue Deutschland“ feierte in jenem Jahr unter dem Titel „Wegelager, Spekulanten und Kavaliere“ den Wertewandel im neuen sozialistischen Staat, den das Museum verkörpere: „Es war einmal. So möchte ich diese Schilderung beginnen, obwohl es sich durchaus nicht um ein Märchen handelt. Die Prinzen, Grafen und Komtessen haben sich aus dem Staub gemacht, und alle die vielen verschrobenen Figuren in blinkender Montur, die zum operettenhaften Hofstaat eines Duodezfürsten oder altadligen Großgrundbesitzers gehörten, sind ihnen gefolgt. Es war einmal, sage ich und blicke aus dem großen Fenster eines feudalen Salons in den schattigen Hof des Wernigeroder Schlosses, das vor kurzem zum ‚Feudal-Museum‘ geworden ist. Der Prismenschliff der Kronleuchter glitzert im großen Festsaal. Das erlesene Porzellan der Tafelaufsätze glänzt. Herrliche Fayencen aus Delft prahlen auf hohen Schaubufetten, japanische Vasen stechen mit ihren exotischen Reizen alte Majoliken aus Zerbst und Meißen aus. Von den mit Seidentapeten bespannten Wänden drohen oder lächeln, je nach Temperament, die Raubritter- und Kavaliergesichter der Ahnen. Verstaubte Historie vermischt sich in diesem Museum mit jüngster Vergangenheit. Die Fülle der Kunstwerke ist so groß und faszinierend, daß mancher die inneren Zusammenhänge vergäße, wenn er nicht durch einige geschickt angebrachte Schilder darauf hingewiesen wurde, daß er es hier mit dem ‚Nachlaß‘ des Feudaladels der Schlösser Wernigerode, Ilsenburg und Blankenburg zu tun hat. Durch jahrhundertelange Ausbeutung ihrer Untertanen konnten die hohen Herren der ’schwarzen Reichsgrafschaft‘ Wernigerode solche Schätze aufhäufen. Ihre Methoden wechselten von der Wegelagerei bis zur Börsenspekulation. In ihren ‚besten Jahren‘, Ende des vergangenen Jahrhunderts, besaßen die Fürsten von Wernigerode drei große Schlösser, zwölf Domänen, 27 000 ha Grundbesitz, neun Warenhäuser und Industrieunternehmungen und dicke Aktienpakete von vier großen Industriewerken. Dann bekam Fürst Otto, der sich gern in operettenhafter Pose photographieren ließ, den Baufimmel und steckte 2,5 Millionen Mark in den Umbau seines Stammsitzes. Er ließ das alte Gemäuer, der verlogenen Manier der achtziger Jahre folgend, auf Gotisch frisieren. Der glänzende Lebensstil, die Hoffeste, die großen Jagden, die Reisen nach Monaco und an die Riviera verschlangen riesige Summen, so daß die wahrhaft fürstlichen Einnahmen von jährlich rund 5 Millionen Mark nicht ausreichten. Die Folgen waren Schulden über Schulden. Der Grundbesitz bröckelte immer mehr ab, ganze Waldreviere im Harz wurden verschachert und wanderten über das Roulette in die Taschen von Lebemännern und Abenteurern. 1927 war die Schuldenlast auf 10 Millionen Mark gestiegen. Da kam dem verkrachten Fürsten Ernst Christian, dessen frühere intime Beziehungen zu Wilhelm II. und Philipp von Eulenburg auch in der Weimarer Republik noch Gewicht hatten, eine schwarzweißrote Querverbindung zum preußischen Finanzministerium zugute. Der Staat kaufte dem Fürsten das Wernigeroder Schloß mit seinen siebzig Prunkgemächern ab, und der Erlös befriedigte einen Teil der Gläubiger. Das immerhin noch stattliche Erbe rettete Bodo von Stolberg-Wernigerode, Ernst Christians Sohn, der bis 1945 unterhalb des Schlosses in einer großen. Villa sein fürstliches Leben führte, über den Krieg hinweg. Dann zog er es vor, im Geleitschutz der Engländer über den Harz nach Westen auf sein Schloß Gedern bei Frankfurt am Main zu retirieren. Wenig später folgte ihm der Herzog von Blankenburg mit langem Troß. Die britische Armee hatte ihm zwanzig Lastwagen für den Umzug zur Verfügung gestellt. Bald darauf verfiel der Land- und Forstbesitz der Bodenreform. Wenn heute die Neubauern nach des Tages Arbeit heimwärts gehen, blicken sie auf das hochgelegene Schloß mit den spitzen Giebeln, Türmen und Zinnen. Wenn da ein Stein vom Dache fiele – es bückte sich niemand, der ihn aufnähme. Die Vergangenheit ist tot. Es war einmal … K.B.“ (Neues Deutschland, 12. Mai 1949).

In geringem Umfang machte die Benennung sogar Schule – vermutlich auch, weil sie den Weiterbetrieb von Schlossmuseen mit Exponaten aus der höfischen und ritterschaftlichen Kultur in der DDR legitimieren sollte. 1950 berichtete die DDR-Zeitung „Neue Zeit“, dass nun auch auf der thüringischen Heldburg ein „Feudalmuseum“ eingerichtet werden solle (NZ, 31. Oktober 1950).

In Wernigerode wurde 1951 erweitert: „Museumsleiter Kusche hat in fünf Räumen die Entwicklung des Feudalismus bis zum Frühkapitalismus in mustergültiger Weise herausgearbeitet. Neben den bisherigen Räumen sind neue kunsthistorische Räume eingerichtet worden, so daß die Gesamtbesichtigung des Feudalmuseums bis zur letzten Phase interessant und fesselnd ist. Zum ersten Male wird auch eine Folterkammer aus dem Mittelalter in den Kellergewölben des Museums gezeigt, die Richtbock, Richtschwerter, Folter- und Strecktisch aufweisen“ (NZ, 6. April 1951).

Am Ausgang wurden die Besucher mit einer Inschrift verabschiedet: „Sie haben gesehen, wieviel Schönes die arbeitenden Menschen in der Vergangenheit geschaffen haben für das Wohlleben ihrer Herren. Um wieviel mehr wird unser Volk heute und in Zukunft schaffen, wo es für sich selbst arbeitet, Schlösser und Paläste dem Volk gehören“ (zit. nach Neues Deutschland, 20. Mai 1956).

In der Berichterstattung der DDR-Presse ließ der ideologische Schwung in der Berichterstattung über das Museum in den folgenden Jahrzehnten deutlich nach, wohl parallel zum schwindenden Enthusiasmus über das Ende der „Junkerherrschaft“ – nicht weil alles falsch gewesen war, was man über die ehemaligen Herren geschrieben hatte, sondern weil die DDR sich nicht als der glanzvolle Nachfolger entpuppte, den man sich erträumt hatte. Das bis 1989 unter dieser Bezeichnung fortbestehende Feudalmuseum wurde in der Presse der 1960er- bis 1980er-Jahre ohne jeglichen Hinweis auf die ihm einst zugedachte ideologische Rolle als ein „normales“, vielbesuchtes Schlossmuseum gehandelt. So heißt es 1977: „Ein beliebtes Ziel für Harzurlauber ist das ‚Feudalmuseum‘ im Schloß Wernigerode. Der 1883 vollendete Repräsentationsbau beherbergt meisterhaft gearbeitete Möbel, hier sind Hunderte von Gemälden, charakteristische Kleidungsstücke, kostbare Schmuck- und Gebrauchsgegenstände, darunter einzigartige Porzellane, zu bewundern. Der größte Teil dieser Kulturgüter stammt aus früheren Adelssitzen Sachsen-Anhalts“ (Neues Deutschland, 23. Juli 1977).  Zwei Jahre später trugen Kunsthistoriker, Architekten und Kulturwissenschaftler eben hier bei einer Historismus-Tagung das lang gepflegte Feindbild der Architektur des 19. Jahrhunderts zu Grabe, also eben jenes Feindbild, welches das Wernigeröder Schloss paradigmatisch verkörperte: „Die neogotischen und neobarocken Bau- und Kunstwerke, die Zeugen der Renaissance-Wiederbelebung sind Denkmale, denn sie spiegeln geistige und materielle Verhältnisse ihrer Zeit wider, sie sind Belegstücke der großen ideologischen und nicht zuletzt klassenkämpferischen Auseinandersetzungen, dokumentieren imperialen Machtanspruch aber eben auch hochentwickelte künstlerische und ebenso gestalterische Maßstäbe“ (Neue Zeit, 13. November 1979). 1984 veröffentlichte Direktor Konrad Breitenborn eine Biographie des Fürsten Otto zu Stolberg-Wernigerode (1837–1896), unter dem das Schloss seine neugotisch-repräsentative Gestalt erhalten hatte. Die eher nüchterne Besprechung im Neuen Deutschland deutet zwar den Niedergang des Adels im Sinne der marxistischen Ideologie als historische Endgültigkeit an, ist aber erkennbar nicht mehr zum Furor früherer Zeiten bereit: „Der letzte Sproß des alten Feudalgeschlechts, der noch einmal Bedeutung erlangte und es, wenn auch nur kurze Zeit, zum Vizekanzler des neudeutschen Kaiserreiches brachte, war, wie Breitenborn dartut, keine überragende Persönlichkeit. Die individuelle Ambition überstieg fraglos die staatsmännischen Fähigkeiten. […] Breitenborn hat gut daran getan, die hausgemachten Lorbeerkränze der Familie Stolberg-Wernigerode gründlich zu entblättern. Darin liegt ein entschiedener Gewinn für den Leser“ (Neues Deutschland, 10. November 1984).

Nach der politischen Wende von 1989 und der Wiedervereinigung behielt das Museum zunächst erstaunlich lange seinen Namen. Wie wenig der Begriff des „Feudalmuseums“ offenbar „verbrannt“ war, zeigt auch die Tatsache, dass die Wiederöffnung des Schlosses Rheinsberg in Brandenburg im Mai 1991 nach Jahrzehnten der medizinischen Nutzung in der DDR ebenfalls als „Feudalmuseum“ bezeichnet wurde (Berliner Zeitung, 28. August 1992).  Allerdings behauptet ein Artikel der „Berliner Zeitung“ vom 28. Oktober 1993, das Wernigeröder Feudalmuseum sei bereits früher umbenannt worden und fasst die programmatischen Veränderungen wie folgt zusammen: „Nach der Wende im Jahr 1989 begann man, dem nunmehrigen ‚Schloßmuseum Wernigerode‘ im Besitz des Landkreises seinen ursprünglichen Wohncharakter des 19. Jahrhunderts zurückzugeben. Rekonstruiert wurden u. a. das Arbeitszimmer des Fürsten, der Salon seiner Gattin sowie das Schlafgemach.“

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen

Kleine Häuser (I): Die Trinkanstalt auf der Museumsinsel

Handbuch der Architektur 1894

Heute wurde in den Kolonnaden der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel die neue Kolonnadenbar eingeweiht. Ein sehr schöner Ort, im Sommer immer Donnerstag abends von 19 bis 22 Uhr geöffnet. Heute habe ich dort etwa 20 Minuten über den historischen Vorläufer gesprochen, die „Molken- und Mineralwasser-Trinkanstalt“, die es dort von 1883 bis 1937 gab. Dazu hat Barbara Götze, Archivarin bei den Staatlichen Museen, 2001 einen gründlich recherchierten Artikel im Museumsjournal veröffentlicht (Heft 4, 2001, S. 31–33).

Der hölzerne Kiosk der „Trinkanstalt“ stand anders als die jetzige Bar nicht in der Mitte der Kolonnaden, sondern an der südwestlichen Ecke. Da es hier immerhin um das direkte Umfeld der Nationalgalerie ging, veranstaltete man 1881/82 erst einmal zwei Architekturwettbewerbe, bis der Erbauer feststand: Emil Hoffmann (nicht zu verwechseln mit dem bekannteren Ludwig Hoffmann) hatte den 3 x 5 Meter messenden Pavillon im Renaissancestil, der 1883 eröffnet wurde, entworfen. Er nannte seinen Entwurf „Sodaliske“ – gebildet aus Soda-Wasser und Odaliske. Ob dabei der Kalauer oder die feinsinnige Anspielung sein Ziel war, bleibt etwas unklar. Wollte er mit den Odalisken, den in den Dienst der türkischen Sultane gezwungenen christlichen Frauen, die die Phantasie des Bürgertums im 19. Jahrhundert entzündeten, auch auf die türkische Herkunft des Bautyps Kiosk (von türk. kösk = Gartenpavillon) verweisen?

Betreiber des Pavillons war der Berliner Kaufmann Wilhelm Balbach, der in seinem Antrag betont hatte, dass der Stand ganz züchtig eine männliche Bedienung haben werde. Mindestens bis 1907 wurden wohl nur Wasser und andere alkoholfreie Getränke ausgeschenkt.

1937 wurde die Trinkanstalt geschlossen und abgerissen.

© Katrin + Hans Georg Hiller von Gaertringen