Vergessene Museen (14): Die Bauernschänke nebst Museum / Jägerstr. 69

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„Bauern-Museum“ auf der Berliner Gewerbe-Ausstellung 1896 (Detail aus einer Ansichtskarte)

„‚Machen Se mann, dett Se wieder raus kommen,‘ schrie der Wirth uns an, ‚Se sehen doch, dett hier anständige Leute sitzen.‘ – ‚Hierbleiben!‘ schrien die Gäste. – ‚Rin mit der Schwiegermutter,‘ rief der Wirth, ‚die fehlt noch in meinem Museum.‘“ – so beschrieb der Unterhaltungsschriftsteller Julius Stinde 1897 die „Bauernschänke“. Das Lokal war als Teil der Sektion „Alt-Berlin“ auf der Gewerbeausstellung im Treptower Park von 1896 ein großer Publikumserfolg. Kurioserweise firmierte die Gaststätte zugleich als „Bauernmuseum“. Die Mischung aus Bierlokal und Kuriositätenkabinett behielt der Betreiber Max Kaufmann auch in der Jägerstraße in Mitte bei, wo er wenig später unter dem treffenden Pseudonym „Grober Gottlieb“ die „Bauernschänke nebst Museum“ als feste Einrichtung eröffnete.

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Ansichtskarte von 1896

Wie war die Benennung zu verstehen und was sagte das Etablissement über den Stellenwert der Institution Museum in jener Zeit aus? Die „Bauernschänken“ waren ein typisch urbanes Phänomen der Kaiserzeit. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten des Deutschen Reiches eröffneten bis zum Ersten Weltkrieg zahlreiche Nachahmer und inszenierten in modernen Bauten eine rustikal-bäuerliche Welt für ein großstädtisches Publikum. Das Programm folgte stets dem von Kaufmann etablierten Muster: Im Erdgeschoss befanden sich die Gasträume, ausstaffiert mit rustikalen Bauernmöbeln, die Wände dicht belegt mit Bildern und Gipsbüsten. Der benachbarte Mitbewerber „Meyer’s Bauernschänke“ (Jägerstraße 65) hatte in der Gaststube sogar einen Ziehbrunnen und einen Viehstall eingebaut. Im Untergeschoss, den „Katakomben“, unterhielten die „Bauernschänken“ so genannte „Museen“ – niedrige und enge Kellerräume, in denen dicht nebeneinander und ohne sinnvolle Ordnung landwirtschaftliche Gerätschaften, ausgestopfte Tiere, Knochen, Hufeisen, Gipsbüsten, Tier- und Menschenschädel, Haushaltströdel und vieles andere gezeigt wurden. Der als Gelehrter mit Talar oder Bauer mit Wams verkleidete Kellner führte die Gäste in die „Unterwelt“ hinab. Die Objekte dienten in erster Linie als Anlass für Kalauer, mit denen die Gäste unterhalten werden sollten. Hing an der Wand eine Literflasche Wasser, kommentierte der „Museumsführer“: „Hier sehen Sie das Wasser, das Moses im Munde zusammenlief, als er das gelobte Land sah.“

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Ansichtskarte, 1901

Die obskuren „Bauernschänken“ zeigen, wie sehr sich das Museum im Laufe des 19. Jahrhunderts als ehrwürdige Bildungseinrichtung etabliert hatte. Nichts anderes nämlich beweist die Tatsache, dass man sich in parodistischer Weise darüber lustig machte: Der auf Spektakel und Alkoholgenuss ausgerichtete Ort führte die Bezeichnung „Museum“ ad absurdum, auch die vollführten Rituale ironisierten den damals besonders stark lehrhaften Charakter von Museen. Dies unterstrich auch die Imitation von Autoritäten wie Professoren und Museumsdirektoren. Zugleich verweist das ohne Systematik präsentierte Sammelsurium auf die Anfänge der Museumsentwicklung in Privathäusern oder in der Kunstkammer, vor der Übernahme des Museumswesens durch Staat und Wissenschaft. Schließlich spiegelt diese frühe Form der „Erlebnisgastronomie“ das damals große Interesse der Städter am ländlichen Leben, das sich nicht umsonst wenige Jahre zuvor in der Gründung des seriösen großen Bruders der „Bauernschänke“, dem Museum für Volkstrachten, Bahn gebrochen hatte.

Literatur

Julius Stinde: Hotel Buchholz, Berlin 1897, S. 197; Nathaniel Newnham-Davies / Algernon Bastard: The Gourmet’s Guide to Europe, London 1903; Rumpelstilzchen: Berliner Allerlei, Berlin 1922, S. 225f.; Reinhard Bojer: Emsländische Heimatkunde im Nationalsozialismus, Book on Demand 2005, Bd. 2, S. 254f.

Vergessene Museen (XIII): Museum Berliner Arbeiterleben um 1900 (1987–1995)

Ansichtskarte-Mitte-Berlin-Museum-Arbeiterleben-um-1900-Wohnkueche-1988

Über zwanzig Jahre nach der Eröffnung von Charlotte von Mahlsdorfs Gründerzeitmuseum entdeckte auch die offizielle Museumspolitik der DDR die Alltagswelt des späten 19. Jahrhunderts als Thema. In dem Vorhaben „Kultur und Lebensweise des Proletariats“ darzustellen, richtete man in der rekonstruierten Husemannstraße im Haus Nummer 12 eine historische Arbeiterwohnung ein. Zwar wurde in erster Linie die Wohnkultur mit Spitzendeckchen und Nippesfiguren nachgebildet, aber dennoch erlag das Museum nicht der Nostalgie. Die kulturgeschichtliche Ausstellung gab, neben Alltagsleben und Wohnkultur, auch Einblicke in Bauwesen oder Freizeitgestaltung der Arbeiter um 1900. Nach 1989 standen solche Museen unter dem Generalverdacht, ideologische Propagandainstrumente der DDR gewesen zu sein – und so wurde auch das Museum in der Husemannstraße bald abgewickelt.

Literatur

Dietrich Mühlberg (Hg.): Arbeiterleben um 1900, Berlin (Ost) 1983; Neue Zeit, 25. Juni 1985, S. 8; Berliner Zeitung, 13. März 1986; Werner H. Krause: Plausch in Uromas guter Stube, in: Neue Zeit, 2. Mai 1987, S. 6; Florian Urban: Berlin/DDR – neo-historisch. Geschichte aus Fertigteilen, Berlin 2007, S. 157–160

Aus unserem Buch „Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern“

Vergessene Museen (XII): Die Ravené’sche Gemälde-Gallerie in Berlin (1853–1918)

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Der 64-jährige Louis Ravené vor einem Gemälde in seiner Sammlung. Gemälde von Ludwig Knaus, 1857

Eisen war das Material des 19. Jahrhunderts: Wer den Baustoff für Maschinen, Eisenbahnschienen oder Brücken liefern konnte, war ein gemachter Mann. So wuchs der Reichtum der Berliner Eisenhändlerdynastie Ravené parallel zur Industrialisierung des Deutschen Reiches stetig an. Der wirtschaftliche Erfolg ermöglichte und erforderte gesellschaftliche Repräsentation. Die drei aufeinanderfolgenden Firmenchefs Louis, Jacob und August Ravené stellten diese auf ihre jeweils unterschiedliche Weise sicher.

Der Senior begründete 1844 die familieneigene Sammlung zeitgenössischer Malerei im bildungsbürgerlichen Geist. Die Hauptmeister waren damals hochgeschätzte Künstler, die heute weitgehend vergessen sind. Louis Ravenés Vorliebe für erzählerische und anekdotische Stoffe ließ ihn bevorzugt auf Historien- und Genremaler der Berliner und Düsseldorfer Schule wie Eduard Hildebrandt oder Johann Peter Hasenclever setzen. Eher zufällig fand dabei auch ein Hauptwerk Adolph Menzels – Friedrich der Große auf Reisen (1854) – seinen Platz in der Sammlung. Gleichsam als bescheidener Ersatz für die noch fehlende Nationalgalerie ließ Ravené sich 1853 von deren späterem Architekten Friedrich August Stüler öffentliche Ausstellungsräume in seinem neuen Geschäfts- und Wohnhaus an der Wallstraße einrichten – hochmodern mit Oberlichtsälen und, als Verweis auf das eigene Geschäftsfeld, mit eisernem Treppenhaus.

Im Verhalten des Sohnes Jacob, der 1861 die Firma übernahm, lässt sich eine gewisse „Distanz zur Art der Reichtumsverwertung“ (Stein 1982) seines Vaters erkennen: Die Zeiten, in denen man vor allem mit öffentlichen, humanistischen Aktivitäten gesellschaftlich repräsentierte, ging ihrem Ende entgegen. Nun strebte der „Geldadel“ der Unternehmer und Industriellen nach einem exklusiveren und neoaristokratischen Lebenswandel. Es ist bemerkenswert, dass Jacob Ravené das familieneigene Privatmuseum dennoch bestehen ließ. Damit unterschied er sich von vielen anderen Privatsammlern, die nach der Etablierung staatlicher Museen im Kaiserreich ihre vormals zugänglichen Sammlungen für die Öffentlichkeit schlossen oder an den Staat verkauften. Ravené wählte stattdessen die Lösung, 1864 selbst aus dem Gebäude an der Wallstraße auszuziehen und in eine neue prächtige Villa in Moabit überzusiedeln sowie ab 1868 die mittelalterliche Burgruine Cochem an der Mosel als neofeudalen „Stammsitz“ der Familie wieder aufzubauen, das Geschäft nebst Museum jedoch in der Wallstraße zu belassen.

Unter dem Enkel August schließlich nahm das Familienvermögen nochmals beträchtlich zu. Dies versetzte ihn in die Lage, 1889 ein neues, monumentales Geschäfts- und Sammlungshaus an der Wallstraße bauen zu lassen – entworfen von seinem Schwiegervater, dem Architekten des Völkerkundemuseums Hermann Ende.

Panorama von Berlin 1896, B 45 118b klein
Der Neubau der Firmenzentrale in der Wallstr. 5–8 wurde 1889 von Hermann Ende erbaut. Die Ravenésche Gemäldegallerie befand sich im obersten Stockwerk.

Wie im alten Haus gegenüber wurden die Museumsräume im Obergeschoss untergebracht, als subtiler Hinweis auf den nur halb-öffentlichen Charakter der Sammlung. Als Zeichen unternehmerischer Modernität war sie nun mit dem Aufzug zu erreichen. Als Sammler ist August ebenso wenig wie Jacob hervorgetreten. Der „namhafteste“ Neuzugang spricht Bände: Bei einer Wohltätigkeitsauktion erwarb er eine eigenhändige Tuschzeichnung Kaiser Wilhelms II., die eine Seeschlacht zeigte. August führte das neofeudale Lebensmodell seines Vaters weiter und aktualisierte es lediglich, indem er 1892 das Barockschloss Marquardt bei Potsdam kaufte. Dazu baute er erneut eine Familienvilla, nun am Wannsee. Auch unter ihm war das Privatmuseum – als langlebigstes Exempel seiner Art – bis etwa zum Ersten Weltkrieg öffentlich. Nach einem Grundstücksstreit mit der Stadt Berlin, der August die Sammlung kurz vor dem Ersten Weltkrieg zur Begründung einer städtischen Kunstsammlung noch hatte vermachen wollen, blieb sie schließlich doch im Familienbesitz. Das Gemälde Menzels wurde 1938 für 300.000 RM an Adolf Hitler verkauft, der es im Münchener „Führerbau“ aufhängte. Dort überstand es schwer beschädigt – als einziges Bild der Ravené’schen Gemälde-Gallerie – den Krieg. Alle anderen Werke gingen 1945 mit der Familie unter: Am Ende des Krieges kamen August Ravené und sein Sohn um, Gebäude und Sammlung wurden zerstört.

Aus unserem Buch „Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern“, Berlin: Deutscher Kunstverlag, 2014, 39,90 €

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen