Kleine Häuser (III): Torstr. 74, Berlin-Mitte

Ein besonderes kleines Haus in der verkehrsdurchfluteten Torstraße. Zwischen zwei Mietshäusern ist gelb gestrichener Klinker eingezwängt, mit viel Luft nach oben. Zwei Garagenrolltore, eine Tür und ein vergittertes Fenster sowie ein gerahmtes Fensterband im oberen Teil der Fassade.

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Ein kleines bisschen 20er-Jahre-Moderne wie es scheint, und das in einer Gründerzeitstraße, die in dieser Hinsicht sehr wenig zu bieten hat. Die Buchstaben „KOD“ rot auf gelb zwischen den Fenstern lasen sich einst komplett als „ŠKODA“, S und A sind überstrichen, das Logo drüber noch da.

Die Adresse „Torstraße 74“ bringt auf Google vorwiegend Einträge zum heutigen Nutzer, dem Modeladen „No74“, hervor. Auch ein paar zum „Adidas-Conceptstore“, der hier wohl um 2010 mal war. Zur Geschichte des kleinen Hauses: erst einmal nichts. Dann aber in einem offenbar seit Urzeiten nicht mehr aktualisierten Online-Branchenbuch auch ein Eintrag jener Autowerkstatt, die hier beheimatet war, bevor die Hipsterversorger einzogen: „Detlef Horstmann, Kfz-Werkstatt, Neuwagenhändler“.

Auf der Basis des Namens Horstmann kann man sich dann doch so einiges über das kleine Haus erschließen. 1940 steht die Familie hier erstmals im Branchenbuch:

Branchentelefonbuch 1941 S 398

Die Straße heißt damals noch Lothringer Straße. Schließlich wurde sie bebaut kurz nachdem sich das Deutsche Reich Straßburg und Metz im Deutsch-Französischen Krieg 1871 zurückgeholt hatte. Die Anzeige aus dem Eröffnungsjahr 1940 ist groß, die Automarke ungewöhnlich – Autos aus Frankreich, dem Land, das die Deutschen in genau jenem Frühjahr wieder besiegen.

„Citroen Spezial-Reparatur-Werkstatt Bruno Horstmann“ hat Telefonanschluss.

Wie es aussieht ist das Haus doch nicht aus der Bauhauszeit, sondern erst etwa 1938/39 für die Autowerkstatt gebaut worden. Drittes Reich-Moderne. Für technische Bauten war der Bauhaus-Stil auch unter Hitler erlaubt. Wie ein Artikel der Berliner Zeitung aus dem Jahr 1994 berichtet, hatte das Grundstück vorher lange dem „jüdischen Lumpenhändler [sic] Leo Last“ gehört. In den älteren Adressbüchern firmiert es nicht als eigene Adresse, sondern wird dem rückwärtigen Grundstück Linienstraße 51 zugeordnet, wo bis heute ein Mietshaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts steht. Leo Last soll, wie die Berliner Zeitung von 1994 schreibt, 1936 vor den Nazis nach England geflohen sein. Nach einer Zeit der NS-Zwangsverwaltung sei das Torstraßen-Grundstück an der Torstraße 1940 an den „Kaufmann Friedrich Adolf Mehlitz“ übergegangen (Kaufpreis 6.385 Reichsmark).

Was passierte nach 1945? Herr Horstmann blieb, und er blieb Citroen treu. Und das obwohl das kleine Haus jetzt in der Wilhelm-Pieck-Straße stand. 1956 stand im Ost-Berliner Branchenbuch die kleiner gewordene Anzeige:

Branchen-Fernsprechbuch Groß Berlin 1956 S 26

Wieder zehn Jahre später, 1966, war aus Citroen dann Škoda geworden, Autos aus dem sozialistischen Bruderland Tschechoslowakei. Und die Anzeige war weiter geschrumpft:

Branchen-Fernsprechbuch für die Hauptstadt der DDR 1966 S 13

Und im Ost-Berliner Branchenbuch von 1988 erfuhr man in ausgezehrter Typo, dass mittlerweile der Sohn übernommen hatte. Und dass nur bestimmte Modelle von Škoda repariert wurden:

Branchen-Fernsprechbuch für die Hauptstadt der DDR 1988 S 27

Der Niedergang der DDR im Allgemeinen und ihrer Autobranche im Besonderen unschwer abzulesen.

Nach 1990 meldeten sich laut Berliner Zeitung die Erben von Leo Last, die in Israel lebten, und der Erbe von Kaufmann Mehlitz aus West-Berlin. Beide erhoben Anspruch auf Eigentum und Mietzahlungen. Wie das wohl ausging?

Die Firma Horstmann hielt scheinbar noch bis weit in die 2000er-Jahre hier aus. Heute jedoch sitzen sie in Weißensee und das Rolltor wird jetzt wohl später am Tag hochgerollt als früher.

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Kein Bild von Mimmo Rotella

© Katrin + Hans Georg Hiller von Gaertringen

Vergessene Museen (V): Das Informationszentrum Brandenburger Tor (1981–1989)

 

Pariser Platz, nördliches Torhaus des Brandenburger Tores, Berlin-Mitte; nur für offizielle Staatsbesuche der DDR zugänglich

Die Berliner Mauer war seit 1961 nicht zuletzt Berlins wichtigste Sehenswürdigkeit. Das galt vor allem für Besucher West-Berlins, die das monströse Bauwerk von zahlreichen, seit etwa 1962 errichten Plattformen bestaunten. Hinzu kamen die Dauerausstellungen zur Mauer im Amerika-Haus (seit November 1961) und Rainer Hildebrands Haus am Checkpoint Charlie (seit Oktober 1962). Der Osten hatte dieser Dauerdemonstration seiner wirtschaftlichen Unterlegenheit und moralischen Schwäche propagandistisch an der Mauer selbst nichts entgegenzusetzen. Sie wurde mit Sichtblenden dem Blick der DDR-Bürger entzogen. Nur an einer Stelle, am Brandenburger Tor, gab es auf der Ostseite seit 1962 ebenfalls eine Aussichtsplattform mit Blick auf den „antifaschistischen Schutzwall“. Diese durfte allerdings nur von offiziellen Staatsgästen, bevorzugt aus den sozialistischen Bruderstaaten, erkommen werden. Um den Bau der Mauer gegenüber den Gästen zu rechtfertigen, wurde zusätzlich im südlichen Torhaus ein Raum für Lichtbildvorträge eingerichtet. 1981 ergänzte man diesen um ein kleines Mauermuseum – „eine äußerst lehrreiche Dokumentationsschau“, wie die Neue Zeit, die Zeitung der Ost-CDU, damals anerkennend schrieb. Sie wurde im nördlichen Torhaus untergebracht. Die exklusive Propagandaschau bestand bis zum Mauerfall im November 1989.

© Katrin + Hans Georg Hiller von Gaertringen

Kleine Häuser (II): Invalidenstr. 86, Berlin-Mitte

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Kleine Häuser verschwinden aus der Berliner Innenstadt. Lediglich dreigeschossig hat ein Gebäude wie das schmutzigweiße kleine Haus, hier in der Mitte des Bildes, in einer Stadt der explodierenden Immobilienpreise keine Zukunft mehr – dazu müsste es schon besonders alt und gut erhalten sein oder aufgrund besonderer historischer Bedeutung geschützt sein. Ein Bauwerk wie dieses hingegen – heruntergewohnt, Fassade entdekoriert, Dach provisorisch – wird wohl demnächst abgerissen und durch einen höheren Neubau ersetzt werden. Zur Vorbereitung dieses Schicksals steht es leer – und das schon seit vielen Jahren. Die Eingangstreppe reicht bereits nicht mehr auf Straßenniveau herunter.

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Ein solches Haus, für das das schöne Wort „unscheinbar“ erfunden wurde, steht in der Invalidenstraße, direkt gegenüber vom Bundeswirtschaftsministerium. Wer hier einst wohnte, verraten die historischen Berliner Adressbücher: Im Adressbuch von 1883 ist das damals vielleicht 20 Jahre alte Gebäude noch unter der Hausnummer 55 zu finden und es wohnten hier hauptsächlich Eisenbahner, 40 Jahre später, 1923, dann vorwiegend Verwaltungsangestellte. Das Adressbuch von 1943 – das letzte, das online verfügbar ist – führt schließlich eine bunte Mischung auf: Labordiener, Krankenschwester, Wächter, Rohrleger, Tischler, Architekt, Pflegerin usw. – insgesamt 15 Parteien.

Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg stand das kleine Haus in einer Reihe von Mietsbauten, die vermutlich von ähnlicher Größe waren. Dann wurde zunächst 1911/12 das Gebäude links im Bild errichtet, als Zahnärztliches Institut der Universität. Der hohe weiße Nachbar rechts, zur Charité gehörig, folgte hingegen erst in den 1920er-Jahren. Das kleine Haus ist also ein Bebauungsrest, der dem Zufall, dass weder die Zahnmedizin links noch die Charité rechts sich einst bis hierhin ausdehnen wollten, sein Überleben bis heute verdankt. Auch die Tatsache, dass nur wenige Meter entfernt von 1945 bis 1990 die Grenze zu West-Berlin verlief, dürfte das Überleben des kleinen Hauses begünstigt haben. Die charakteristische DDR-Lampe über der Tür und die vergitterten Fenster legen nahe, dass das damals direkt an den Anlagen der Grenzübergangstelle Invalidenstraße gelegene kleine Haus den Grenztruppen der DDR diente. Seitdem scheinbar fast unverändert, läuft seine Zeit vermutlich bald ab.

© Katrin und Hans Georg Hiller von Gaertringen

Vergessene Museen (II): Die Zentrale Traditionsstätte der Volkspolizei in Ost-Berlin (1985–1990)

Mauerstr. 38, Berlin-Mitte

Das Museum verdeutlichte „mit zahlreichen Fotos, Dokumenten und Ausrüstungsgegenständen die Entstehung und Entwicklung der Volkspolizei bis zur Gegenwart“, wie das Neue Deutschland 1985 mitteilte. Der Journalist des kurzen, mit Phrasen durchsetzten Artikels dokumentierte unfreiwillig sein Desinteresse, indem er weder Adresse noch Öffnungszeiten angab, sondern lediglich in typischer DDR-Diktion ausführte: „[Die Ausstellung] veranschaulicht das enge und vertrauensvolle Zusammenwirken der Organe des Ministeriums des Inneren mit den Werktätigen sowie die enge Freundschaft der Angehörigen der Volkspolizei mit der UdSSR.“ Die Schaustücke sollten nicht zuletzt die moderne technischer Ausrüstung der Volkspolizei zeigen, so stand beispielsweise ein damals neues DDR-Polizeimotorrad (MZ ETZ 250) in der Ausstellung. Marko Schubert schilderte im Rückblick einen Besuch im Zuge der ideologischen Schulung vor der Jugendweihe, der im Einweihungsjahr 1985 stattfand: „Die fünfte Stunde […] nannte sich: ‚Unser sozialistisches Vaterland‘. Es stand ein Besuch im Museum der Volkspolizei an. Der Text eines beliebten Kinderliedes lautete: ‚Der Volkspolizist, der es gut mit uns meint, er bringt uns nach Hause, er ist unser Freund.‘ Die Vopo-Freunde bei dieser Jugendstunde waren allerdings leider durch die Bank unsympathisch, sprachen sächsisch und man ahnte, dass sie bei Straftaten nicht zimperlich reagieren würden.“ Vor dem Gebäude befindet sich noch heute die Bronzegruppe eines Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei im vertrauensvollen Gespräch mit Bürgern. Die Bestände der Traditionsstätte gingen nach der Wende an die Polizeihistorische Sammlung über.

Literatur: Berlin-Handbuch, hrsg. vom Presse- und Informationsamt des Landes Berlin, Berlin 1992; Michael Bienert: Stille Winkel an der Berliner Mauer, Hamburg 2009; Marko Schubert: Reifeprüfung für Weltveränderer. Jugendweihe in der DDR [2010], unter: www.spiegel.de/einestages/jugendweihe-in-der-ddr-a-949880.html